Im Café mit Ian und Anne

Last Updated on 5. März 2022 by Mirjam Wicki

Von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Heute treffe ich mich in meinem Café mit Ian und Anne. Ian ist neben Alexa die Hauptfigur in meinen Romanen «Die andere Seite von SCHWARZ» und «Die Aussicht auf BUNT», Anne ist seine Mutter. Da die Romane in einem Zeitraum von beinahe vierzig Jahren spielen, lernt man beide Charaktere in den Büchern während verschiedener Lebensphasen kennen.

Inhaltshinweis: In diesem Blogbeitrag kommen die Themen Depressionen und ein verdrängtes Kindheitstrauma vor.

Hei, ihr Lieben, schön euch wieder einmal zu sehen. Herzlich willkommen in meinem Café!

Anne: Danke für die Einladung. Ich habe mich gewundert, dass du Ian und mich eingeladen hast und nicht Ian und Alexa.

Der Grund dafür ist eines meiner Lieblingszitate aus «Die Aussicht auf BUNT», nämlich Ians Aussage «Wir können die Vergangenheit nicht ändern, nur die Zukunft neu schreiben.» Das sagt er im Gespräch mit dir.

Anne: Ja. Vielleicht weil wir beide uns am meisten wünschen, dass wir die Vergangenheit ändern könnten.

Stimmt das denn, Ian?

Ian: Ich glaube, ich hätte den Satz zu jedem und jeder aus unserer Familie sagen können. Ich glaube auch nicht, dass Mamma und ich uns mehr wünschen, wir könnten die Vergangenheit ändern, als meine Schwestern und mein Vater dies tun. Aber wir konnten am offensten darüber reden. Sagen wir hier eigentlich, worum es genau geht?

Ich würde es gern allgemein halten, damit zukünftige Lesende von «Die andere Seite von SCHWARZ» nicht gespoilert werden. Was wir aber sagen können, damit alle verstehen, wovon wir reden: Am Ende des Buches kommst du, Ian, während einer Therapiesitzung einer verstörenden Kindheitserinnerung auf die Spur. Du suchst das Gespräch mit deiner ältesten Schwester, und ihr geht gemeinsam auf die Suche nach der Wahrheit.

Ian: Dabei fanden wir heraus, dass die plötzlich hochgekommene Erinnerung richtig war. Mein Unterbewusstsein hatte die Erfahrung verdrängt, aber nie vergessen.

Was hat sich danach für dich geändert?

Ian: Den Grund für meine langjährigen Depressionen zu kennen, war eine Erleichterung. Endlich verstand ich mich selbst besser. Doch das Wissen um die Ursache machte nicht einfach alles gut. Mein Leben ging weiter, die alten Muster waren immer noch da, und neue Herausforderungen kamen hinzu.

Davon handelt Band 2 eurer Geschichte, «Die Aussicht auf BUNT». Du erzählst darin von deiner Kindheit und Jugend und von deinem neuen Leben mit dem Wissen um die Geschehnisse in der Vergangenheit. Welche der neuen Herausforderungen hast du als besonders gross in Erinnerung?

Ian: Es war wohl die Kombination von allem. Der veränderte Umgang miteinander in unserer Familie, weil wir alle verschieden mit der Situation umgingen. Die Reaktionen meines Körpers und meiner Psyche auf die neue Wirklichkeit. Und ganz viele Fragen aus der Kategorie «Was wäre gewesen, wenn…?».

Ich nehme an, diese Fragen kennst du auch, Anne?

Anne: Für mich sind es weniger Fragen, als vielmehr Schmerz über das, was geschehen ist. Trauer über unsere Unfähigkeit, das Richtige für unsere Kinder zu tun.

«Wir können die Vergangenheit nicht ändern» – was bedeutet das für dich?

Anne: Es bedeutet ganz viel verlorene Zeit. Verpasste Chancen. Menschen, die von meinen Entscheidungen für ihr Leben geprägt wurden.

Was würdest du ändern, wenn du es könntest?

Anne: Wenn ich mit meinem heutigen Wissen zurückreisen könnte, würde ich der jungen Mutter Anne sagen, dass sie die Schuld für das, was geschehen ist, nicht bei sich suchen soll. Ich würde ihr sagen, dass sie die Möglichkeit hat, für sich und ihre Familie Hilfe zu holen. Dass sie einen Unterschied machen kann und dass sie stärker ist, als sie glaubt. Wenn ich noch weiter in die Vergangenheit reisen könnte, würde ich das junge Mädchen Anne darin bestärken, auf ihre Gefühle zu achten, ihnen zu vertrauen und danach zu handeln.

O ja, das würde bestimmt einen Unterschied machen! Und du, Ian, was würdest du ändern?

Ian: Klar, manchmal wünsche ich mir, mein Unterbewusstsein hätte die Erinnerungen früher freigegeben. Aber viel wichtiger als die Frage nach der Vergangenheit finde ich diejenige nach der Gegenwart. Darauf richte ich meine Aufmerksamkeit, diese kann ich verändern und damit die Zukunft beeinflussen.

Was hilft dir dabei, ausser deiner eigenen Stärke?

Ian: Alexa. Unsere Beziehung, die so viel ausgehalten hat und dabei beständig und fest wurde. Mein Wunsch nach einem einfacheren Leben an ihrer Seite. Und natürlich Yuna, unsere Tochter, die mit so viel Energie in unser Leben gepurzelt ist! Ich will, dass sie genau das lernt, was du, Mamma, als junge Frau gern gekonnt hättest: Auf ihre Gefühle zu achten und sich selbst zu vertrauen. Ich will ihr dies vorleben, und dafür muss ich meine Gefühle aushalten und nicht wie gewohnt vor ihnen flüchten.

Anstrengend?

Ian: Sehr! Und lohnenswert.

Und du, Anne? Schreibst du die Zukunft auch neu?

Anne: Ich hoffe, dass ich durch meine Bereitschaft, mit Ian, Alexa und meinen Töchtern über die Fehler der Vergangenheit zu reden, dazu beigetragen habe, eine neue Zukunft für sie zu schreiben. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Eine gute Zukunft für meine Enkelkinder! Für mich und meinen Mann wünsche ich mir weniger eine andere Zukunft, als eine lebenswerte Gegenwart. Ich würde Ians Zitat für mich umformulieren: Wir können die Vergangenheit nicht ändern, nur die Gegenwart leben.

Ian: Das gefällt mir! Es ist das, was wir machen, Alexa, Yuna und ich. Jeden Tag.

Danke, Ian und Anne. Danke für den Einblick in eure Gedanken, und danke für das neue Zitat!

Ich schlage vor, dass wir uns nun Kaffee und Zimtschnecken zuwenden und unsere Runde öffnen.

Liebe Lesende, mögt ihr eure Gedanken zu den angesprochenen Themen in die Kommentare schreiben? Habt ihr Fragen an Ian, Anne oder mich?

Und hier noch der dezente Hinweis auf die beiden Romane, die Ians Geschichte ausführlich erzählen: Alle Infos finden sich unter Bücher.

2 thoughts on “Im Café mit Ian und Anne”

  1. Liebe Mirjam, liebe Anne, lieber Ian, was für ein wunderschönes Gespräch. Ich kenne eure Lebensgeschichte und habe sie mit Spannung, Herzschmerz, Trauer, Wut und Sorge gelesen. Ich bewundere, wie ihr mit der Vergangenheit umgeht und finde, ihr macht das genau richtig. Natürlich kann man sich und wer würde es euch nach diesem Schicksal verdenken, in der Vergangenheit verlieren. Wütend sein, sich rasend machen, warum man diese oder jenes nicht anders gemacht hat. Doch räumt es nicht denjenigen, die tatsächlich die Schuld daran tragen, viel zu viel Raum ein, wenn man sich endlich von ihnen befreit hat? Ein Trauma zu bewältigen braucht Zeit und die sollte man sich nehmen, aber ich finde es auch gut, wenn man dann nach eurem Lebensmotto vorgeht. Gerade vor einigen Tagen habe ich mich das selbst gefragt, wenn auch nicht aufgrund einer traumatischen Erfahrung, sondern einfach so: Wo bin ich im Leben falsch abgebogen? Was würde ich gerne ändern oder anders machen, wenn ich die Chance hätte? Ich glaube, diese Frage stellen wir uns alle früher oder später und wenn man es falsch angeht, kann man daran zugrunde gehen. Natürlich habe ich auch Teile in meinem Lebenslauf, die ich ausradieren wollen würde. Aber warum auch immer hat mich dieser Tage eine Leichtigkeit erfasst und ich habe angenommen, was ich getan habe oder wo ich vielleicht einen Umweg zu viel gelaufen bin oder wo ich böse Fehler begangen habe. Denn ohne sie wäre ich nicht hier, nicht die, die ich bin. Und ob es anders besser gelaufen wäre? Wer kann das schon sagen. Vielleicht habe ich in einem weiteren Leben die Chance, es rauszufinden. Deswegen finde ich es schön zu sagen, dass man die Gegenwart leben sollte und nicht an der Vergangenheit festhalten. Das lässt sich natürlich leichter sagen, wenn man kein Trauma erleben musste. Aber ich finde es dennoch schön. Danke, dass ihr so offen darüber gesprochen habt. Es drückt euch Sophie

    1. Herzlich willkommen im Café, liebe Sophie, und herzlichen Dank, dass du deine Gedanken hier teilst!

      Ich finde den Punkt, dass man mit dem Festhalten an Vergangenem dem Negativen weiterhin Raum gibt (sei es einem Menschen, der einem etwas angetan hat, oder einer schwierige Situation an sich), eine wichtige Ergänzung. Die Entscheidung, dem Geschehenen nicht mehr Macht über sein Leben zu geben, ist ein grosser Schritt (der, wie du schreibst, Zeit, Energie und Emotionen kosten darf).

      Zum Glück erleben wir das nicht alle so krass wie Anne und Ian, aber ich versuche selbst, auch kleinere Themen auf diese Weise anzugehen. Weil es einfach schade ist, die Gegenwart wegen Shit aus der Vergangenheit nicht geniessen zu können!

      Ich freue mich über die Leichtigkeit, die du gespürt hast. Möge sie anhalten!

      Eine Umarmung von mir und auch eine von Anne und Ian, wenn du magst!

      Herzlich, Mirjam

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