Last Updated on 17. Juni 2022 by Mirjam Wicki
Auf Instagram wurde ich nach meinem besten Schreibtipp gefragt. Geantwortet habe ich mit: Kill your Darlings!
Wie bitte?! Schreibt sie jetzt plötzlich Krimis? Thriller? Horror? Oder spickt ihre Geschichten mit einem Drama nach dem nächsten?
Nein, bisher nicht! Ich schreibe weiterhin meine charakterbezogenen (Liebes)Romane mitten aus dem Leben, in denen der Tod zwar ein Thema sein kann, aber nie um des blossen Dramas willen.
Ich nutze die Gelegenheit, öffne mein Café an diesem heissen Sommertag und erzähle, was ich unter dem Schreibtipp verstehe und wann mich seine Umsetzung am meisten geschmerzt hat.
Warum etwas streichen, das ich mag?
Zum ersten Mal von «Kill your Darlings» gehört habe ich im Schreibworkshop bei Milena Moser (hier habe ich schon einmal darüber gebloggt). Ich habe Milena damals so verstanden:
Manchmal hängen wir an Charakteren, Storylines, Szenen, Ausdrücken, Sätzen, … in unserem Manuskript, die da eigentlich gar nicht hingehören. Vielleicht ahnen wir es selbst, vielleicht weisen uns Testlesende oder die Lektor*in darauf hin, vielleicht ist da plötzlich aus dem Nichts dieser Gedanke «braucht es das wirklich?».
Die natürliche Reaktion darauf ist: «Natürlich braucht es das!» Schliesslich habe ich gerade diesen Satz besonders kunstvoll formuliert, habe zu genau diesem Charakter eine ganz spezielle Verbindung, finde diesen kleinen Ausflug in der Story richtig gut gelungen.
Und das kann das Problem sein: Es geht um mich. Meine Vorlieben, mein Ego, meinen Spass. Dagegen ist erst einmal gar nichts einzuwenden. Schliesslich ist es meine Geschichte, der man meine Art zu und meine Freude am Schreiben anmerken darf.
Am Ende soll daraus aber eine Geschichte für die Lesenden werden.
Sie sollen Spass haben beim Lesen, ihre Emotionen sollen berührt werden. Sie sollen ein Buch lesen, dessen Handlung Sinn macht und dessen Sprache verständlich ist. Und dabei sollte keines meiner Darlings sie stören.
Retire your Darlings
Vielleicht sollten wir es nicht «Kill your Darlings» nennen, sondern eher «Retire your Darlings». Unsere Lieblinge haben ihre Aufgabe erfüllt, uns Freude bereitet oder etwas über unsere Geschichte verraten, und bevor es zur Veröffentlichung geht, dürfen sie sich zur Ruhe setzen. Das tut weh, aber es wird sich lohnen!
Meine schmerzhafteste Entscheidung diesbezüglich traf ich während einer der Überarbeitungen von «Die andere Seite von SCHWARZ». Ich strich nämlich eine ganze Figur aus dem Manuskript!
Britta spielte in dem Text, der dem Roman zugrunde liegt, eine wichtige Rolle (zur Erinnerung: Diesen Text schrieb ich mit fünfzehn, und er erzählte den Beginn der Liebesgeschichte von Alexa und Ian.)
Britta war Ians Cousine und wurde zu Alexas Freundin. In der Rohfassung von «Die andere Seite von SCHWARZ» war sie immer wieder an der Seite der beiden, hatte eine eigene kleine Storyline und wurde irgendwie auch zu meiner Freundin. Sie war Christin, eine sehr liebenswerte Persönlichkeit, und ihr Lebensentwurf brachte eine weitere Facette in den Roman.
Und ich glaube, das war der Punkt, an dem ich merkte, dass es zu viel wurde. Brittas Geschichte brachte keinen Mehrwert in den Roman, sondern Ablenkung von den eigentlichen Themen. Der religiösen Aspekt war bereits da durch Grossmama Ida, Alexa hatte mit Doris eine grossartige Freundin und Ian mit seinen beiden Schwestern genügend fast gleichaltrige weibliche Verwandte.
Ich tat mich sehr, sehr schwer, Brittas Rolle erst zu verkleinern und dann versuchsweise ganz zu streichen! Fasziniert und ein bisschen traurig stellte ich fest, dass es kein Problem war, ihre wichtigen Szenen auf andere Personen umzuschreiben, und dass es einfacher wurde, Ians und Alexas Story stimmig zu erzählen.
Ja, es tat weh, mich von Britta zu verabschieden, aber ich bin überzeugt, dass es sich gelohnt hat. Sie hat ausser mir niemandem gefehlt, und sie hätte nur von Ian und Alexa abgelenkt.
Ob es einmal eine Geschichte mit Britta geben wird? Ich glaube nicht. Sie hatte ihre Geschichte. Wir hatten unsere Geschichte.
Darauf trinke ich heute einen Kaffee!
Liebe kreative Lesende, habt ihr auch Erfahrungen mit «Retire your Darlings»?