Von fiktiven, realen und virtuellen Begegnungen

Last Updated on 12. November 2022 by Mirjam Wicki

Sie sass im selben Zugsabteil wie ich, war in ihr Handy vertieft und hatte einen Rucksack dabei, der so gut zu ihr passt, dass ich ihn wahrscheinlich ins Manuskript einfügen werde.

Celeste ist eine der Protagonistinnen aus meinem Roman, der gerade bei Testlesenden ist und von dem ich eigentlich Pause mache. Aber so ganz hat mein Kopf das nicht begriffen, er studiert nämlich viel an der Geschichte herum und daran, wie sie noch lebendiger werden kann.

So sehr, dass ich gestern eben plötzlich Celeste gegenübersass!

Es war natürlich nicht das erste Mal, dass sich die Fiktion meiner Geschichten mit der Wirklichkeit mischte. Ich erinnere mich an eine Begegnung während einer Weiterbildung. Plötzlich stand ich einer Frau gegenüber, die aussah und sich verhielt wie Linda, die Protagonistin aus «Ich melde mich ab». Es hat Spass gemacht, sie im Lauf des Tages besser kennenzulernen und dabei immer wieder an mein Buch erinnert zu werden.

Bei der jungen Frau im Zug war es anders. Ich grüsste sie, als ich mich vis-à-vis von ihr hinsetzte, und stutzte kurz. Dass sie mich an Celeste erinnerte, lag an wenigen Merkmalen. Ich schaute sie einen Ticken länger und genauer an, als wenn sie diese Ähnlichkeit nicht gehabt hätte. Danach widmete ich mich der Aussicht aus dem Fenster und warf ihr nur noch einige verstohlene Blicke zu.

Auch wenn ich es liebe, Menschen zu beobachten, bemühe ich mich nämlich sehr, nicht die creepy Frau zu sein, die dir im Zug gegenüber sitzt und dich anstarrt! (und wenn ich dir verstohlene Blick zuwerfe, wirst du leider nicht wissen, ob ich versuche, mit dir zu flirten, oder ob du gerade Roman-Inspiration bist, aber ich verspreche dir, dich nie 1:1 in meinen Roman zu übernehmen. Vielleicht aber deinen Rucksack …)

Es war nicht nur Fiktion und Realität, die sich gestern mischten, sondern auch Online- und Offline-Leben. Als ich «Celeste» begegnete, war ich nämlich auf dem Weg nach Baden zu einem Treffen mit der Jugendbuchautorin Alice Gabathuler. Sie hatte eine Lesung im Oberstufenschulhaus und nahm sich Zeit, vorher mit mir essen zu gehen. Es war ein unglaublich schöner, inspirierender, ermutigender und lustiger Abend. Ich habe einmal mehr gestaunt, wie eine Bekanntschaft aus dem Internet im realen Leben «verhebet». Buchliebe, Schreibliebe verbindet!

Und doch kappe ich gerade eine mediale Verbindung zu den Buchmenschen im World Wide Web: Ich werde dieses Wochenende meinen Twitter-Account löschen. Die Plattform entwickelt sich in eine Richtung, mit der ich mich nicht mehr wohl fühle. Zudem wurde sie für mich zu einem unkontrollierbaren Zeitfresser. Ich will diese Zeit lieber ins Schreiben stecken oder in Begegnungen wie diejenige von gestern Abend.

Und natürlich in mein virtuelles Café, das gern noch viel mehr zu einem Treffpunkt für Buchmenschen werden darf!

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