Schreibübung «Licht»

«Magst du?», hatte meine Schreibfreundin gefragt, und ich hatte ja gesagt zu vier Schreibübungen in vier Wochen. In der zweiten Übung ging es um Licht. Mir hingegen fiel der Laden runter. Oder so. Kä Luscht. Ich bemühte mich, glaubte erstaunlich lange daran, dass schon noch etwas werden würde aus dem Text. Doch leider nein. Hier also das unzensurierte Beispiel für einen Text, aus dem nichts wurde ausser einer Schreiberfahrung. Die ganz echte Unlust der Autorin am Schreiben über dieses Thema zu diesem Zeitpunkt. Auch das ist Schreiben!

 

«Schreiben Sie heute über das Licht».

Heute, an diesem trüben Tag, soll ich über Licht schreiben. Bisher ist mir noch gar nicht aufgefallen, wie trüb er ist. Ich habe ihn sowieso drinnen verbracht, zuerst an einer inspirierten Sitzung, danach bei einem lustigen Mittagessen mit den Kindern, schliesslich mit anstrengend-langweiliger Buchhaltung. Die Sitzung wäre nicht weniger inspiriert, die Buchhaltung nicht weniger langweilig und das Mittagessen nicht ernster gewesen, wenn die Sonne geschienen hätte. Im Gegenteil, dank der trüben Wolken, aus denen Schnee fiel, waren die Kinder den ganzen Morgen hindurch beschäftigt, und die Sitzung konnte ungestört inspirierend werden.

Was mich hingegen empfindlich gestört hat, war die Kälte in meinem Büro. Trotz Pulswärmern und Wolljacke habe ich gefroren während meiner Buchhaltung. Zu wenig, um den ganzen Krempel an einen wärmeren Ort zu zügeln oder mich endlich mit meinem unkooperativen Heizkörper herumzuschlagen, aber doch so, dass sich die buchhalterische Arbeit noch etwas unangenehmer anfühlte, als sie es ohnehin schon tat.

Schreiben Sie über Licht. Nicht über trübe Tage und kalte Büros.

Sonnenlicht. Kerzenlicht. Neonlicht. LED-Licht. Tageslicht. Kaltes Licht. Warmes Licht. Bildschirmlicht. Flackerndes Licht. Fehlendes Licht. Licht aus der Taschenlampe. Lichtstrahl. Unheimliches Licht. Heimeliges Licht. Lichtermeer. Lichterkette. Es werde Licht. Schalt das Licht aus. Schalt das Licht ein. Nachtlicht. Licht und Schatten. Ihr seid das Licht der Welt. Licht ins Dunkel bringen. In Deinem Licht sehen wir das Licht. Das Licht der Strassenlampe. Scheinwerferlicht. Ein Licht erhellt die Nacht. Im Licht der Autoscheinwerfer. Lichtblick. Nordlicht. Windlicht. Räbeliechtli. Friedenslicht.

Ich kann keinen Text über Licht schreiben, ohne dabei klischeehaft zu werden. Natürlich waren da die endlosen Sommertage im Norden. War das verzauberte Spätnachmittagslicht auf Amrum. Sind die erwartungsvoll flackernden Kerzen im Schlafzimmer. Gab es am Schlittelwochenende die Momente, in denen plötzlich die Sonne durch die Wolken brach. Haben wir an Weihnachten das Friedenslicht nach Hause getragen. Das kommt mir zwar in den Sinn, aber darüber mag ich nicht schreiben. Nicht jetzt. Nicht, weil ich über Licht schreiben soll. Vielleicht ein andermal, wenn es mich berührt, das magische Licht, das bedeutungsvolle Licht, das strahlende Licht, welches das Dunkel erhellt.

Unterdessen ist es dunkel vor meinem Fenster. Das Tageslicht ist weg, die Fenster der Nachbarshäuser sind beleuchtet. Ich schüttle den Kopf über mich und meine Weigerung, mich auf das Thema einzulassen. Nein, heute ist mir kein Licht aufgegangen.

P.S. Es gibt ein Lied meiner Lieblingsband, das heisst «Lights and Shadows». Das höre ich mir jetzt an.

Schreibübung «Grenzen»

«Magst du?», fragte meine Schreibtischfreundin. Mag ich mich darauf einlassen, in den nächsten vier Wochen je eine Schreibübung aus einem Handbuch für Kreatives Schreiben zu machen? «Ja, klar mag ich!», lautete meine Antwort. Nun, als ich mich dann dransetzte, hielt sich meine Begeisterung erst in Grenzen. Warum eine Schreibübung machen und über etwas schreiben, das mir von aussen aufgedrängt wird, wo ich doch sonst schon einen Überfluss an Schreibprojekten habe? Bloss weil ich ja gesagt habe? Nein, weil ich neugierig bin! Weil ich weiss, dass es meinen Schreibfluss anregt, wenn ich über die Grenzen meiner Schreibprojekte hinausschreibe. Das war übrigens genau das Thema der 1. Übung: Schreib über Grenzen!

 

Ich fotografiere Grenzübergänge. Jedes Jahr, wenn wir mit unserem Hippiebus über die Schweizer Grenze ins Ausland fahren, knipse ich. Fotografiere den Rhein, das Zollgebäude, die Landesflagge oder die Tafel, die die Verkehrsregeln des gerade erreichten Landes erklärt. Auch unterwegs fotografiere ich die Grenzen, über die wir fahren, und auf der Heimreise knipse ich ein Bild des Zollübergangs in die Schweiz. Es hat für mich eine besondere Bedeutung, bewusst in ein anderes Land einzureisen, und ich bin immer noch erstaunt, dass das seit einigen Jahren so problemlos geht. Niemand will meinen Ausweis sehen (ausser ich reise mit der Fähre nach England, dann schon!), niemand hält uns an und stellt Fragen. Wir entschliessen uns, eine Grenze zu überfahren, und man lässt uns machen. Es erfüllt mich jedes Mal mit Ehrfurcht, wenn ich eine Grenze passiere. Ich betrete Neuland, die Grenzen öffnen sich für mich, es ist mir erlaubt einzutreten. Und umgekehrt: Es ist mir erlaubt zurückzukehren.

Am Intensivsten habe ich es letzten Sommer bei der Einreise nach Schweden erlebt. Nach einer Nacht auf der Fähre zwischen Deutschland und Schweden öffnete sich am frühen Morgen die Luke des grossen Schiffbauches. Wir standen in der Pole Position, als eines der ersten Fahrzeuge verliessen wir die Fähre und fuhren auf die Rampe, die hinunter auf schwedischen Boden führte. Vor uns der Hafen von Trelleborg, hinter uns das Schiff, das uns sicher durch die Nacht geführt hatte, neben uns das blaue Meer, über uns der weite Himmel. Ich weinte. Still für mich, verborgen hinter Sonnenbrille und Kamera. Ich weinte, weil es sich so unglaublich, so unbeschreiblich gut anfühlte, in dieses Land einzureisen und zu wissen, dass ich die nächsten beiden Wochen hier verbringen und Neues entdecken würde. Deine Seele wohnt im Norden, hat kürzlich jemand zu mir gesagt. Möglich, dass es meine nordische Seele war, die mir Tränen des Glücks und der Rührung in die Augen trieb. Möglich, dass sie es war, die mich an genau diesem Ort das Gefühl von höchster Freiheit spüren liess. Keine politische Grenze, kein Meer, keine tausend Kilometer Autobahn hatten mich daran hindern können, hier zu sein!

Ich glaube nicht an Grenzen, die trennen und hindern. Ich glaube an Grenzen, die schützen und beschützen. Ich glaube an Grenzen, die überwunden werden, und an Grenzen, die gewahrt werden. Grenzen zeigen mir, dass meine Freiheit dort aufhört, wo die des anderen anfängt, und sie zeigen mir, wie kostbar es ist, wenn wir unsere Grenzen füreinander öffnen.